Einordnung durch die Antirassismus-Expertin Rahel El-Maawi

Rahel, du hast 2023 mehrere Workshops mit den Familienberater:innen von Espoir durchgeführt. Nun setzen sie um, was sie gelernt haben. Wie ordnest du die Reaktionen unserer Familienberater:innen in den Beispielen ein?
Es freut mich sehr, dass die Mitarbeitenden von Espoir ihre rassismuskritische Brille geschärft haben und dies auch in ihrem Handeln sichtbar wird. Für die betroffenen Kinder ist es, wie das Beispiel bezüglich Schule zeigt, fast überlebenswichtig, um gesund und gestärkt aufwachsen zu können. Es freut mich auch, dass die Eltern und Kinder ermächtigt werden, sich für sich bzw. ihr Kind einzusetzen. Das werden sie auf weitere Situationen übertragen können.

Welche Bedeutung haben solche Interventionen für die betroffenen Kinder?
Solche Interventionen sind ein grosser Beitrag zum individuellen Lebensweg der betroffenen Kinder. Sie spüren, dass andere das Unrecht erkennen und es auch benennen können. Es ist wichtig, dass wir Erwachsenen mutig vorangehen und ein Vorbild für die Kinder sind – auch schon nur darin, wie solche Gespräche über Rassismuserfahrungen geführt und verlaufen können. Die Kinder brauchen Verbündete, damit sie wissen, dass sie aufgefangen und verstanden werden – auch wenn sie selbst einmal nicht so gut reagieren.

Wie können sich die Kinder wehren?
Ein Kind, das Rassismus erfährt, darf sich wehren. Es ist wichtig, dies gemeinsam mit ihm zu besprechen. Ich erlebe immer wieder Kinder, die «sich wehren» als «zuschlagen » verstehen. Das geht jedoch meistens schief und verstärkt die stereotypen Bilder gegenüber rassifizierten Menschen vielmehr. Es ist wichtig, mit dem Kind zu erarbeiten, wie es sich effektiv wehren kann und dass es uns Erwachsene einbeziehen darf. Die rassistische Idee, dass manche Menschen anderen überlegen seien, führt zu aggressivem Verhalten gegenüber betroffenen Kindern. Deshalb ist es wichtig, auch mit nicht betroffenen Kindern und Erwachsenen über Rassismus zu sprechen – nur so kann ein gemeinsames Verständnis entstehen und können alle ermutigt werden, um diskriminierendem Verhalten etwas entgegenzusetzen.

Inwiefern siehst du unsere Ansätze im Umgang mit Rassismuserfahrungen in den Familien als ausreichend, um Familien, die Rassismuserfahrungen machen, nachhaltig zu unterstützen?
Rassistische Vorannahmen tragen fast alle Menschen mit sich. Deshalb ist die Reflexion der eigenen Sozialisierung und des eigenen Handelns essenziell und ein wichtiger Beitrag zu einer rassismuskritischen Institution. Die Sensibilität der einzelnen Fachpersonen wird ins Team getragen, wo weitere Diskussionen stattfinden. Damit wird vermutlich die Reflexion aller Mitwirkenden angestossen und das institutionelle Handeln kritisch hinterfragt.

Welche konkreten Massnahmen empfiehlst du?
Damit dies nicht zufällig geschieht, empfehlen wir, dass eine entsprechende Reflexion und rassismuskritische Analyse regelmässig Thema ist und zum Beispiel auf einer Traktandenliste vermerkt wird. So sind alle eingeladen, ihre Beobachtungen zu teilen und auch übergeordnete Prozesse zu reflektieren und Diskriminierung abzubauen.

Daran arbeiten wir. Wo siehst du sonst noch Möglichkeiten?
Da im Jahresbericht vor allem Einzelsituationen angesprochen werden, kann ich nicht beurteilen, wie stark institutionalisierte Prozesse mit rassismuskritischem Wissen erweitert wurden. Inwiefern gab es Anpassungen bei der Gestaltung von Erstkontakten, Checklisten oder Leitfäden? Welche Informationen werden an die Familien weitergegeben? Was ich aber gerne auch noch sagen möchte: Ich bin sehr beeindruckt, wie ernsthaft ihr als Organisation dieses Thema aufnehmt, vertieft und in eure Arbeit integriert. Ihr habt die Wichtigkeit erkannt und entsprechende Schritte unternommen, um rassistische Diskriminierung abzubauen. Ich wünsche euch viel Mut und Tatkraft, um weiter daran zu arbeiten.

Rahel El-Maawi ist Lehrbeauftragte für Soziokultur und Beraterin für diversitätsorientierte Organisationskultur. Das Interview mit ihr führte Danielle Silberschmidt Lioris. 

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